Wenn es im wechselvollen Musikerleben von Ernst Horn künstlerische Konstanten gibt, so sind dies einerseits die Liebe zu schwermütigen Liedern, wie man sie aus der keltischen Folklore, oder den Liedern Franz Schuberts kennt und andererseits der Drang, gesellschaftliche und politische Themen musikalisch zu verarbeiten.
Der studierte Schlagzeuger, Pianist und Dirigent und sein Partner Alexander Veljanov verbinden als „ Deine Lakaien“ Melancholie und Avantgarde, akustische Klänge und Elektronik auf eine vollkommen neue und eigenständige Weise. Es ist dabei mehr als erstaunlich, dass dieser Weg, fernab von den Gepflogenheiten und Erfolgsmodellen der Industrie dem Projekt regelmässig Chartsplatzierungen in den Top Ten bescherte. Auf der anderen Seite schuf der ehemalige „Kapellmeister für Oper und Operette“ und Theaterkomponist mit Alben über den Golfkrieg und die Wiedervereinigung, mit Hörspielcollagen über Aufrüstung, Futurismus und Monetarismus eine Symbiose aus Dokumentation, Satire und Musik, die in ihrer Art einmalig ist. Mit dem Projekt Helium Vola verband Ernst Horn, der auch die beiden ersten Alben der Band Qntal produzierte, nun diese beiden Elemente mit Texten, vorwiegend aus dem Mittelalter, zu einer neuartigen, aufregenden Mischung aus Elektronischer Avantgarde und der Instrumental und Vokalkunst der Alten Musik. Die beiden Alben Helium Vola und Liod gelten heute als künstlerische Unikate, fantasievoll und hochprofessionell, aber fernab von jeglicher „Cross-over“ Seichtheit.
Die „Hauptstimme“ von Helium Vola ist Sabine Lutzenberger, eine der hervorragendsten Sängerinnen der Alten Musik, Solistin und Mitglied bedeutender internationaler Vokalensembles und in letzter Zeit auch vermehrt in der E-Musik Avantgarde tätig. Ihr zur Seite stehen mit Gerlinde Sämann, Andreas Hirtreiter und Joel Frederiksen Solisten, die auf der Opernbühne, als Konzertsolisten, aber auch mit Ensembles, wie „Hilliard“, „Hesperion“ oder „Huelgas“ Erfolge feiern. Dazu gesellte sich nun der Sänger der Slowenischen Band „Silence“, Boris Benko, eine hervorragende Wahl, wie man hören kann. Als Instrumentalisten waren dabei: Ralf Hübner, Violine und Gitarre, Konzertmeister der Neuen Philharmonie Frankfurt und Mitglied der Band „Chamber“, Olga Hübner, Viola, ebenfalls in den vorgenannten Ensembles tätig und Jost Hecker, unter anderem Cellist des „Modern String Quartet“.
Das neue Album Für Euch, Die Ihr Liebt, versucht nun, noch mehr, als seine Vorgänger, Dichtkunst aus verschiedenen Epochen in ihrer Allgemeingültigkeit und Aktualität zu vertonen. Schranken zwischen den szenekompatiblen Spielarten der Popkultur untereinander und zur E-Musik werden ignoriert. Zum Glück wurde dafür ausreichend Platz geschaffen! Ein Doppelalbum, das aus zwei eigenständigen Werken besteht, jedes für sich abgeschlossen und doch miteinander verwandt, bis in die Abfolge der einzelnen Songs, die sich aufeinander beziehen. Die Thematik ist jedoch unterschiedlich: Auf CD-1 findet man Liebeslieder zu Texten aus verschiedenen Epochen, CD-2 versteht unter „für euch, die ihr liebt“ die Nächstenliebe in ihrem Bezug zur oft ernüchternden, düsteren Realität.
Dem aufwändig gestalteten Cover liegt ein umfangreiches Booklet bei, in dem alle Texte dreisprachig abgedruckt und von dem Hamburger Künstler Tim Becker, der auch für die beiden Vorgänger verantwortlich zeichnete, bebildert wurden. Das Artwork bezieht sich auf das „duale“ Konzept dieses Albums, es wurden eigens dafür Skulpturen gebaut und abgebildet. Alle szeneüblichen Klischees aus Fantasy und Mittelalter wurden dankenswerterweise vermieden!
Beide Alben beginnen mit einer Widmung : „A voi che amate“-„für euch, die ihr liebt“. Während auf CD-1 mit Saber d’amor ein leidenschaftliches Lied über vergebliche Liebe folgt, geht es auf CD-2 bodenständiger weiter: „Mammon macht das Krumme grad“ heißt es in Nummus (Carmina Burana). Lateinische Texte über die Raffgier werden im heftigen Manifesto mit dem Kommustischen Manifest und in Ray Gun zu atonalen House Klängen mit „Mars attacks“ auf die Wall Street kommentiert- ein Song, der schon vier Jahre alt ist, die Akualität ist also zufällig!. Warum Maggie Thatcher in Quan lo pet auftaucht, muss der (anonyme) Autor des altfranzösischen Textes verantworten. Die sanfte Beschwörung eines Paradieses in Mayab, die düstere Antwort in Mord, das verzweifelte Canta me, das Youngbloods-Cover Darkness, darkness von 1968 und das bekannte und anrührende Moorsoldatenlied, komponiert im Konzentrationslager Börgermoor, beschreiben dagegen eindringlich die persönlichen Auswirkungen, Enttäuschungen, soziale Not und Sehnsüchte.
CD-1 bleibt dagegen bei Liebesfreud und Leid mit dem anmutigen Fischerlied Pescador, der rauschhaften Liebesnacht in L’alba dem sehnsuchtsvollen Blow, northerne wynd, dem resignierenden Maienzeit und dem zarten in so hoher swebender wunne. In Escoutatz warnt ein Troubadour, auch musikalisch einem Rapper ähnlich, vor der Unzuverlässigkeit der Liebe, während im nicht ganz ernst gemeintem Friendly Fire zu Electro-Clash-Sounds die hohe Liebe unbekümmert abgefertigt wird. Eine Sonderstellung nehmen auch die jeweils an Nummer 9 gesetzten Vertonungen von Petrarca-Sonetten ein, Vokalstücke in modernem Madrigalstil, die wohl am weitesten vom Genre Pop Musik entfernt sind.
CD-1 wird mit einem, der von Helium Vola Fans so geliebten, Frühlingslieder abgeschlossen,
CD-2 dagegen endet mit der ritualhaften Beschwörung aus dem berühmten Gedicht Jose Manriques: „Nuestras vidas son los rios que van a dar en la mar, qu’es el morir;.....“
Für Euch, Die Ihr Liebt ist weit mehr, als die „Mittelalter-Elektronik-Scheibe zum Wegträumen und Abtanzen“, ein episches Werk, das von Schönheit, Liebe und ihrem Scheitern an der Welt berichtet, Musik, die in ihrer Vielfalt und Thematik immer wieder überrascht und anrührt. Wenn es heute noch Argumente für die Verbreitung von Musik über das Medium „CD- Album“ gibt, dann sind es Konzeptwerke, wie die vorliegende Veröffentlichung.